Interview
Interview von Miriam Bers
Oszillieren zwischen den Wahrnehmungen
Miriam Bers: Enrico, Du hast Dich der abstrakten bzw. informellen Kunst verschrieben — formierst dabei mehrere Bildebenen, -schichten und löst zugleich Formen auf. Die Ergebnisse können Wandbilder ebenso wie Objekte, gar installative Werke sein.
M.B. Auf von Dir konstruierten Negativformen schichtest Du Folien, die Farbe, Papier. Hast Du fertige Bilder im Kopf oder entstehen sie während des Arbeitsprozesses?
Enrico Niemann: Das eigentliche Bild kann ich nicht im Voraus bestimmen. Ich habe eine ungefähre Ahnung in welche Richtung es sich entwickeln könnte, je nachdem mit welchen Farben ich beginne. Letztlich ist das Ergebnis aber stark von Zufallsprozessen geprägt und auch für mich immer wieder eine Überraschung. Die „Form“ und deren Oberflächenqualitäten entscheide ich jedoch am Anfang recht genau.
M.B. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Malerei und Plastik in Deinem Werk - ist das Bild dreidimensional gedacht und die Skulptur von der Malerei bestimmt? Fließt Beides ineinander, geht es um das Um-/Neudefinieren von Bildraum?
E.N. Es ist die Oberfläche, die ich räumlich begreifbar denke und die Malerei ist durch deren Dreidimensionalität bestimmt. Daher befasse ich mich mit den Bedingungen unter denen dieser Farbauftrag stattfinden kann. Die plastische Konstruktion hat dabei einen starken körperlichen Bezug, während der Malvorgang vielmehr fluid ist und sich im Prozess durch Verläufe, Schichtungen und Ablagerungen herausbildet, bestenfalls so, dass die Struktur des Entstehungsprozesses an der Oberfläche durchschimmert.
Ich habe nicht den Anspruch einer „Neudefinition“ des Bildraumes, diese Definitionen interessieren mich nicht. Es ist eher ein Aufbrechen des Bildraumes, allerdings ohne die malerische Dimension völlig aufzugeben. Mich fasziniert, wenn sich der illusionistische Farbraum und die faktisch verkörperte Malerei, gerade in der Bewegung vor dem Objekt, fortwährend vermischen.
M.B. Was macht den Einsatz von Harzen und Folien für Dich so attraktiv? Sie sind mitunter transparent, wie eine Pergamenthaut, und verleihen der Arbeit trotz der von Dir zumeist sehr dynamisch verwandten Farbpalette zugleich etwas Fragiles.
E.N. Auch wenn es nicht immer so wirkt, ist die eigentliche Farbschicht oft eine fragile, dünne Haut. Dieses Thema verfolge ich schon sehr lange. Transparente Farbschichten suggerieren von jeher eine „tiefe Oberfläche“ von besonderer Intensität. Aus diesem Gedanken entstanden die früheren Arbeiten, bei denen ich auf transparenten Folien malte, die einzelnen Layer verschmolz oder öffnete und mit der Überlagerung farbiger Folien und deren Zwischenräumen experimentierte.
Daraus ergab sich in den letzten Jahren die direkte Verarbeitung von Acrylfarbe, die ja selbst zu einer alles überziehenden Kunststoffschicht wird. Hier interessiert mich vor allem die Oberflächenabnahme und -formung, einschließlich aller Faltungen. Dafür verwende ich handelsübliche Folien, die Untergrund und Farbe wie eine Membran trennen, sie aber im unmittelbaren Kontakt treten lassen. Am Ende entnehme ich die mehr oder weniger starke aus vielen Schichten aufgebaute Farbhaut.
M.B. Ganz traditionell definieren Zeichnung und Kontur die Form, Farbe hingegen wird immer emotional betrachtet. Du verwendest zumeist sehr kräftige und durch den Einsatz von Magenta manchmal unnatürlich wirkende Farbspektren. Farbe hat bekanntermaßen Appeal, kann aufdringlich oder absurd sein. Hast Du Farben die Du ganz besonders magst? Wie setzt Du Farbe ein? Welche Bedeutung hat sie im Bezug auf das Objekt?
E.N. Nun, die Farbe ist mit ihren Eigenschaften, wie Konsistenz, Mischungsverhalten und Taktilität untrennbarer Teil des Objektes. Ich gebe durch die Konstruktion sozusagen eine Kontur vor, aber löse sie an vielen Stellen mit dem Farbauftrag organisch auf.
Anfangs beeindruckte mich vor allem die assoziative Wirkung der Farbe. Später ging es vermehrt um Kontraststeigerungen zur Hervorhebung von Struktur und Räumlichkeit. Ich versuche Farben ganz egalitär zu verwenden. Kräftige Farben verdeutlichen die zufälligen Verläufe und Mischungsvorgänge besser und heben die Unterschiede am „Malgrund“ hervor. Nichtdestotrotz ist die Farbwirkung am Ende entscheidend da sie eine Räumlichkeit erzeugt die über die bloße Form hinausgeht und so ein Oszillieren zwischen den Wahrnehmungen erzeugt.
M.B. Gibt es in Deinen Werken Vergangenheit, Erinnerung?
E.N. Die verwendeten Materialien und Methoden bauen, über einen längeren Zeitraum betrachtet, aufeinander auf. Insofern spielt das implizite Wissen, also die Erfahrung darüber eine große Rolle.
Ich setze mich nicht mit Erinnerungsbildern auseinander. Die fertigen Arbeiten rufen zwar Erinnerungen hervor, doch das hat dann allenfalls noch Einfluss auf den Titel.
M.B. ist Deine Vorgehensweise rational oder vielmehr spontan, gar automatistisch? Welchen Stellenwert hat das Unbewusste für Dich?
E.N. Ich würde sagen, das lässt sich alles darin finden. Wenn ich Arbeiten plane und konstruiere ist es rational, im Arbeitsprozess läuft vieles „automatistisch“ (als produktive Handlung gedacht) und die dabei auftretenden „Fehler“ sind allesamt spontan. Das Unbewusste versuche ich zu entdecken, denn nur dabei kann ich etwas lernen. Im Sinne des Zufälligen ist es ja ein wesentlicher Teil meiner Arbeit.
Der psychologische Teil, auf den deine Frage sicher abzielt, ist für mich eher unbedeutend. Anders als bei surrealistischen Methoden suche ich die Präsenz des malerischen Ereignisses.