gefaltet - verhäutet
von Theresa Lunau
Folien werden an verschiedensten Gegenständen gerieben, gepresst, etwas in sie eingedrückt, sie werden aufgebracht und wieder abgezogen. Sie werden zu Spuren des Kontakts, der sich in sie einprägt, als etwas immer schon Vergangenes. Später werden mehrere dieser Folien miteinander kombiniert, ineinander verschmolzen, wieder auseinander gerissen, zerschnitten, zusammengefügt bis eine Körperlichkeit der Oberfläche entsteht.
In dieser Arbeitsweise steckt ein Bruch mit dem klassischen Verständnis des Malenden, die oder der vor einer Leinwand steht und eine mehr oder minder klare Vorstellung oder Wahrnehmung mit dem Pinsel versucht auf eine Oberfläche zu bannen. Das Material - die Folien und Farbe werden in einem Prozess zu etwas, das sich eben aus genau diesem Prozess ergibt. An ihnen lässt sich die Zeit und die Kraft spüren, die es brauchte um zu etwas zu werden, das im Zusammenspiel von Maler und Material seine Form gewinnt. Die Arbeiten erweitern die Oberflächenhaftigkeit der Malerei hin zum Skulpturalen bis Installativen. Etwas entsteht, das die permanente Wiederholung einer Struktur, ihre Prozesshaftigkeit, die notwendige Reproduktion zum Erhalt, gestoppt hat und sich uns darlegt. Als Betrachtende, werden wir Zeug_in, die oder der erst nach dem Akt zum Geschehen hinzutritt und dessen überbleibende Spuren erblickt.
Verschiedenste Assoziationen werden durch die Arbeiten evoziert, die von den Erinnerungen an geliebte Haut und obszöne Fleischlichkeit, hinzu verklärter Landschaft und urbaner Architektur reichen. Alles ist Spur, Restzeichen, die auf etwas Abwesendes verweisen, das aber scheinbar die Bedingung der Möglichkeit der Existenz der Objekte/Subjekte darstellt. Ganz so als wollte Enrico Niemann, dem Erlebten eines Menschen, das sich uns eigentlich nie oder nur als Widerschein in Erzählungen andeutet, eine Sichtbarkeit verleihen, uns darauf stoßen, dass dies Lebendigkeit ausmacht. Die Faszination, die uns beim Betrachten der Arbeiten ergreift, scheint jener zu ähneln, die wir Geliebten gegenüber empfinden und uns gleichsam auf jene Grausamkeiten aufmerksam zu machen, die sonst nur in ihrer Nähe erträglich sind: die Verletzbarkeit unseres eigenen Fleisches und unserer Identität. Der begehrte und geliebte Körper ist zugleich eine undurchdringbare Oberfläche, eine Landschaft, etwas Lebendiges, eine Ansammlung von Erfahrungen und Empfindungen; ein Subjekt, das mit jedem Blick und Wort den wir an es richten, neu erschaffen wird und sich selbst erschafft. Die Umhüllung, der Überzug einer Form, die uns immer wieder glauben lässt, das Subjekt unsere Begehrens wäre Innen und wir müssten durch die Fläche zu ihr oder ihm vordringen, es durchdringen, in es eindringen. Der Ort des Seins, des Lebens, des Begehrens, liegt irgendwo dazwischen, nicht obenauf und auch nicht dahinter. Mit der Idee eines inneren authentischen Ichs wurde gebrochen. Was bleibt ist die Grenze an der Ich und Begehren konstituiert werden und sich selbst erschaffen, die Haut, das Fleisch, die Vielschichtigkeit. Der Ort des eigenen Begehrens und der Anderen, eine unerklärliche, pulsierende Leerstelle zwischen dem Sichtbaren, die nie fassbar ist, aber an den Spuren die sie hinterlässt, fühlbar. Enrico Niemanns Arbeiten machen dies sichtbar, es ist, als zeigen sie jene Empfindung, die sich mit den Worten ausdrücken lässt: Du hast dich in mich eingedrückt. So als könnte man die Zeichen sehen, die eigentlich immer nur im nachhinein die Intensität der Leidenschaft rekonstruieren, sie jedoch nie begreifbar machen. Die sonst nur in der Erinnerung das aufscheinen lassen, was mit dem eigenen Ich geschehen ist, wie es sich verändert hat durch die Begegnung mit Anderen. So zitieren auch die Gesten des Zerschneidens, Zerfetzens, Verschmelzens, Abziehens und wieder Aufbringens, weder ein chirurgisches noch ein sadistisches Interesse der oder dem Anderen die Wahrheit des Lebens oder des Begehrens zu entreißen, noch eine romantische Verklärung, welche nach totaler Annäherung, Einverleibung strebt; hingegen eröffnen sie einen Raum des Erkennens, dass sich Individuen ihrem Bergehren an Anderen aufs maximalste annähern können, ohne sich oder die Anderen dabei zu verlieren, sondern sich genau darin zu erschaffen; ein Wissen das beschreibt, dass Begehren nur dann existiert wenn es seinen nicht-existenten Ort zugestanden bekommt, der irgendwo zwischen den Schichten liegt, seine Spuren hinterlässt.
Theresa Lunau, 2010